Immerhin Nicole Piastri ließ zu Hause in Australien den Sektkorken knallen, wenn auch nur per Emoji. Die Rennfahrermutter verkündete ihrem Fitnesstrainer auch noch über das Internet die Botschaft: Pilates morgen früh um sechs ist gestrichen. Entschuldigung akzeptiert, passiert ja nicht jeden Tag, dass der Sohn sein erstes Formel-1-Rennen gewinnt und damit auch der erste Grand-Prix-Sieger ist, der in diesem Jahrtausend geboren wurde. Im Hintergrund der hüpfenden Mama ist das Podium von Budapest zu sehen, Oscar Piastri und sein Teamkollege Lando Norris stehen dort wie erstarrt.
Der 13. WM-Lauf war nicht nur wegen des Ergebnisses ein besonderer, er bezog seine Spannung auch aus einem Live-Hörspiel. Die Dialoge zwischen den Kommandoständen und den Fahrern spitzten die Dramen auf der Strecke noch zu. Nicht nur beim doppelt erfolgreichen McLaren-Rennstall, auch bei Titelverteidiger Red Bull Racing, an den das Papaya-Team in der lukrativen Konstrukteurswertung jetzt bis auf 51 Zähler herangerückt ist, bewegte sich das Gesprächsniveau parallel zur Abnutzung der Reifen am Auto von Max Verstappen kontinuierlich nach unten.
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:Piastri siegt, Verstappen tobt
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Der Australier gewinnt sein erstes Formel-1-Rennen, weil ihn Teamkollege Lando Norris kurz vor Schluss widerwillig vorbeiziehen lässt. Weltmeister Max Verstappen wird nur Fünfter – und schimpft mit seinem Team und über sein Auto.
Es gipfelte, lange bevor der Weltmeister sich im Duell mit dem alten Rivalen Lewis Hamilton bei einer Kollision das Auto und den dritten Platz ruinierte, in einer Schimpftirade Verstappens über die misslungene Strategie des kriselnden Rennstalls: „Ich versuche hier nur, eure Scheiß-Strategie zu retten.“ Gianpiero Lambiase, sein Renningenieur, ist zwar verbalen Kummer gewohnt, aber diesmal reichte die Klageflut auch ihm: „Sei nicht kindisch!“, rief er zurück. Doch der Niederländer mochte sich auch lange nach dem verkorksten Rennen auf dem Hungaroring nicht beruhigen: „Es passieren zu viele Fehler. Deshalb wird es Zeit, dass einige im Team aufwachen, statt nach Entschuldigungen zu suchen.“ Dann beschied er noch allen Kritikern an seiner Ausdrucksweise: „Die können mich alle mal!“ Die atmosphärischen Störungen sind Ausdruck dessen, wie eng es an der Spitze geworden ist. Radio Gaga als Frustbewältigung.
Ein bisschen viel schlechte Laune nach einem so großen Rennen gab es auch bei den Siegern. Die Eskalation bei McLaren war gerade noch abgebogen worden, nachdem Lando Norris zwei Runden vor Schluss eingelenkt und seinen zweiten Formel-1-Sieg doch noch gegen einen zweiten Platz getauscht hatte. Denn auch die McLaren-Strategen hatten die Terminierung der Boxenstopps verbockt. So hebelten sie die Regel aus, dass der Fahrer, der nach der ersten Kurve des Rennens vorn liegt, auch die erste Wahl beim Reifenwechsel hat – auf diese Art verlor Piastri seine souveräne Führung. Kein Problem, dachten die Taktiker, dann bitten wir Lando Norris eben höflich, unseren Fehler auszubügeln: „Stellt die ursprüngliche Reihenfolge wieder her, wenn es am besten passt.“ Nett gedacht, bis – rumms! – Mannschaftsdienlichkeit und Rennfahrer-Ego aufeinanderprallten.
Rennfahrer, angehende Champions zumal, müssen gnadenlose Egoisten sein. Weshalb der Brite nur schwer davon zu überzeugen war, für die Fehler anderer Verzicht zu üben. Von der Boxengasse aus argumentierten sie, „wir tun es für das Team“, aus dem co*ckpit schallte es zurück: „Ich tue es für den Titel!“ Später behauptete Norris, er habe bloß bis zur allerletzten Runde warten wollen, um den Platz zurückzugeben. Ein gefährliches Spiel, die Hinweise der Rennfahrerflüsterer von draußen wurden massiver, zunächst aber nur indirekt: „Geht dein Funk noch?“ Das fruchtete nicht. So lapidar wie stur kam zurück: „Laut und deutlich ...“ Den Ausschlag zur moralischen Wende gab am Ende der Appell des Renningenieurs, der Norris an die Teambesprechung vom Sonntagmorgen erinnerte: „Eine Meisterschaft kann man nicht allein gewinnen. Du brauchst Oscar, und du brauchst das Team. Ich weiß, dass du das Richtige tun wirst ...“ Daraufhin schenkte der 24-Jährige trotz seines Zwiespalts den Sieg her: „Wir haben uns das Leben selbst schwer gemacht. Beim Überlegen, was ich tun soll, wäre ich fast verrückt geworden“, sagte Norris. Wie tragfähig das auf diese Art wieder hergestellte gegenseitige Vertrauen tatsächlich ist, muss die Zukunft zeigen. Die Egos müssen erst wieder in Balance gebracht werden.
Erst spät zeigt sich Norris einsichtig
Mit etwas weniger Adrenalin zeigte sich der Fast-Sieger Norris schon einsichtiger: „Es war hart und es hat weh getan, das kann wohl jeder nachvollziehen. Aber ich will nicht der Unfaire im Team sein. Oscar hat mir schon oft geholfen. Er hat den Sieg verdient, und deshalb war es richtig für mich zu verzichten. Denn ich hätte ja gar nicht an der Spitze sein dürfen. Ich habe den Sieg nicht verschenkt, sondern schon am Start verloren.“
Oscar Piastri hatte daraus sofort Kapital geschlagen. Weshalb der Australier höflich, aber bestimmt seine Position verteidigte: „Je länger es dauerte, desto nervöser wurde ich. Aber ich glaube, es war richtig, es so zu tun, denn ich habe mich am Start in die bessere Position gebracht.“
Es ist die alte Frage, der ewige innere Konflikt, bekannt nicht erst seit Michael Schumacher und Rubens Barrichello oder Lewis Hamilton und Nico Rosberg: Kein Fahrer soll größer sein als die Marke, das Rennen der Egomanen ist in Wahrheit immer ein Mannschaftssport. Das weiß jeder Einzelne, und auf Dauer kann sich keiner verweigern. Aber es braucht klare Ansagen, wie einst bei Ferrari und Mercedes. Oscar Piastris Manager Mark Webber kann dazu eine Geschichte erzählen, als er vor elf Jahren in Malaysia Opfer seines guten Glaubens geworden war. Damals war sein Red-Bull-Kollege Sebastian Vettel auch früher hereingeholt worden, obwohl Webber vorn lag. Die Anweisung zum fairen Rücktausch, unter dem Code Multi 2-1 legendär geworden, ignorierte der Heppenheimer beharrlich. Merke:Wer Champion werden will, kommt in diesem Sport mit Basisdemokratie selten weit.